„Senner Pferde“, Beweidungsprojekt für Naturschutz, Landschaftsschutz und Heimatpflege

| Projektförderung |

1. Landschaftspflege durch Beweidung – Pferde als Landschaftspfleger

Die Beweidung mit Nutztieren spielt bei der Offenhaltung der Kulturlandschaft eine wichtige Rolle. Sie ist eine wichtige Ergänzung zum Erhalt alter ökologisch bedeutsamer vormaliger Kulturlandschaften, auf deren Flächen ursprüngliche Nutzungen nicht mehr möglich sind.

Pferde eignen sich besonders für die Beweidung von Habitaten, in denen eine ge-wisse Bodenverwundung gewünscht ist. Der hohe Bewegungsdrang und spezielle Verhaltensweisen der Pferde (Wälzen) sorgen, unterstützt durch das hohe Körpergewicht, recht schnell für Verwundungen der Grasnarbe. Es entstehen offene Bodenstellen als Kleinlebensraum für gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Bei entsprechender Besatzstärke etablieren sich Wälzstellen, die durch tägliche Nutzung dauerhaft erhalten bleiben. Durch Trittschäden kann auch Adlerfarn zurückgedrängt werden.

Pferde fressen selektiv und bevorzugen dabei Gräser. Sie fressen auch älteres und rohfaserreiches Futter wie überständige, hartblättrige Gräser. Ihre Wildformen und verwilderte Hauspferde gehören zur heimischen Fauna und hatten entsprechenden Einfluss auf die Vegetationsentwicklung und das Landschaftsbild. Grundsätzlich sollte man versuchen, Flächen, die zu ihrer Erhaltung regelmäßig beweidet werden müssen, mit den Tierarten weiter zu nutzen, die in früheren Jahren zur Entstehung der Landschaft beigetragen haben.

In der Senne liegt es daher nahe, auch Pferde in der Landschaftspflege einzusetzen, da sie mehr als 700 Jahre lang ein Element der Heide- und Sandlandschaft dieser Region waren.

2. „Senner Pferde zur Förderung der Biodiversität in der Senne“ - ein Projekt für Naturschutz, Landschafts- und Heimatpflege
2.1 Zur Geschichte der Senner Pferde

Die Vorfahren der Senner Pferde lassen sich nicht mehr eindeutig bestimmen. Als wahrscheinlich gilt, dass sie von tarpanblütigen germanischen Hauspferden abstam-men. Gelegentlich wurde auch schon die Vermutung angestellt, es könnte sich um Nachfahren von entlaufenen römischen Pferden nach der Varusschlacht handeln, die dann orientalisch beeinflusst wären.

Im nordwestdeutschen Raum gab es seit dem frühen Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere sogenannte Wildbahnen. Diese waren unwegsame und unübersichtliche Gebiete im Allgemeinbesitz (Allmenden), in die sich die letzten Wildpferde und entlaufene halbwilde Hauspferde zurückgezogen hatten oder Ödlandgebiete inmitten von Kulturland in denen „halbwilde Gestüte“ in landesherrlichem Besitz etabliert wurden. Davon hat sich bis heute die Wildbahn im Merfelder Bruch in Westfalen erhalten. Für die Senne wurde zum ersten Mal im Jahre 1160 eine halbwilde Pferdehaltung erwähnt und damit die vermutlich älteste deutsche Pferderasse urkundlich belegt.

Große Bereiche der Senne und des angrenzenden Lippischen Waldes waren jahrhundertelang Lebensraum der Senner Pferde in der Obhut des Lippischen Fürstenhauses. Die Stuten liefen mit ihren Fohlen ganzjährig frei in der Senne. Die Hengste wurden eingefangen und im fürstlichen Marstall in Detmold als Reit- und Jagdpferde eingesetzt. Diese Haltung verursachte vergleichsweise geringe Kosten. Es wurden lediglich genügend große Flächen benötigt.

Auf Grund der geringen Futterqualität auf dem nährstoffarmen Sennesand und der wenigen Wasserstellen waren die Pferdeherden gezwungen, weite Wanderungen auf sich zu nehmen. Es erfolgte eine natürliche Selektion auf Härte, Gesundheit und Ausdauer. Bis1803 hielten sich die Tiere ganzjährig im Freien auf. In den Wintermonaten wurden sie nach 1803 in Lopshorn in den Ställen des Lippischen Fürstenhauses untergebracht.

Nach dem ersten Weltkrieg endete die Sennerzucht unter der Obhut des Fürstenhauses und wurde erst seit 1935 vom Verband Lippischer Pferdezüchter und durch verschiedene engagierte Privatpersonen weitergeführt.

1971 begann Karl-Ludwig Lackner aus Borgholzhausen mit seiner Familie, den inzwischen stark überalterten Stutenbestand an Senner Pferden systematisch nach den Prinzipien der Lopshorner Zucht zu verjüngen. Seitdem bemüht er sich, geeignete Flächen in der Senne zu finden, um einige Tiere wieder in ihre alte Heimat zurückzubringen.

Das Senner Pferd ist heute ein leichtes, mittelgroßes Pferd im Typ des Anglo-Arabers. Es ist elegant und temperamentvoll. Alle Farben sind möglich. Das Stockmaß liegt bei 159 bis 165 cm. In der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) wird der Bestand des Senner Pferdes als extrem gefährdet eingestuft.

Beim Westfälischen Pferdestammbuch ist zur Sicherung der Sennerzucht ein eigenständiges Stutbuch eingerichtet und die Aufnahme der "Senner" konnte in die World Watch List der FAO (Fachorganisation der Vereinten Nationen für Ernährung, Land-wirtschaft, Fischerei und Forstwesen) sowie in die Liste der bedrohten Haustierras-sen der Europäischen Union erreicht werden.

Die Senner-Pferde sind ein altes Kulturgut der Senne. In den vergangenen Jahrhunderten hatten sie durch ihre Fraß- und Trittwirkung – neben vielen anderen Faktoren – Einfluss auf die Entwicklung der ehemals typischen Heidevegetation. Sie sind somit Teil der Landschaftsgeschichte der Senne. Seit mehr als 80 Jahren weideten Senner Pferde nicht mehr in ihrem angestammten Lebensraum, der Senne.

Damit aber die typischen Eigenschaften dieser Pferderasse nicht verloren gehen, sollen die "Senner" entsprechend ihren ursprünglichen Haltungsbedingungen wieder in der Senne leben können. Ein Wildbahnprojekt erschien dafür die geeignete Form zu sein.

2.2 Das Wildbahn-Projekt

Im Jahr 1999 konnte vom Naturschutzzentrum Senne ein Beweidungsprojekt mit Senner Pferden im Naturschutzgebiet „Moosheide“ begonnen werden, das seit 2002 von der Biologischen Station Kreis Paderborn - Senne weitergeführt wird. In Ergänzung zu bisherigen Pflegemaßnahmen (Schafbeweidung und regelmäßige Entkusselung) soll die Beweidung mit Senner Pferden auf mittlerweile ca. 20 Hektar trockenen Grasflächen dazu beitragen, diesen Offenland-Lebensraum im Naturschutzgebiet zu erhalten bzw. strukturell zu verbessern.

Ziele des Projektes sind:

  • Pflege von Sandtrockenrasen und Extensiv-Grünland in einem Naturschutzgebiet,
  • Förderung seltener und gefährdeter Pflanzen und Tiere, die auf sandige Rohböden-Standorte spezialisiert sind,
  • Erhaltung und Entwicklung einer halboffenen Kulturlandschaft,
  • Erhaltung einer regionalen vom Aussterben bedrohten Haustierrasse.

Nach dreijähriger Versuchsphase weiden drei bis fünf Stuten bzw. Wallache vom Mai bis November auf den Flächen. Die Besatzdichte wird bewusst sehr gering angesetzt, um starke Schäden, die bei hohem Viehbesatz auftreten können, zu vermeiden.

Für die Herrichtung der Weideflächen wurde ein Weidezaun gebaut sowie die Was-ser- und Stromversorgung gesichert. Die Weiden werden nicht gedüngt, eine Zufütterung erfolgt nicht. Die Beweidung wird als Standweide durchgeführt. Die Tiere können die gesamte Weidefläche (Mai – November) während der Weideperiode nutzen. Im Winter, wenn das Nahrungsangebot auf der Winterweide am Güsenhofsee im Kreis Paderborn nicht ausreicht, werden sie zusätzlich mit Heu versorgt. Damit Wasser- und Mineralienhaushalt stets ausgeglichen sind, finden sich auf beiden Weiden zusätzlich Salzlecksteine und Tränken. Da die Winterweide am Güsenhofsee keinen natürlichen Schutz bietet, wurde dort ein künstlicher Witterungsschutz errichtet. Die Herde wird tierärztlich kontrolliert.

In dem Versuchsprojekt wurde und wird untersucht, wie sich die Weideflächen in Be-zug auf die Vegetationsstruktur und die Artenzusammensetzung entwickeln und ob Pferde geeignet sind, solche Lebensräume dauerhaft zu pflegen. Die Untersuchun-gen dienen auch dazu, eventuelle mit der Pferdebeweidung einhergehende Negativ-folgen offenzulegen bzw. vorteilhafte Entwicklungen zu dokumentieren. Aus anderen Gebieten gab es keine vergleichbaren Untersuchungen, so dass mit diesem Projekt „Neuland“ betreten wurde.

2.3 Wissenschaftliche Begleitung

Das Beweidungsprojekt wurde von Beginn an durch wissenschaftliche Untersuchun-gen begleitet, die vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben wurden. Da die Wildbahn in einem Naturschutzgebiet liegt, war sicherzustellen, dass die Flächen durch die Beweidung nicht ihren ökologischen und naturschutzfachlichen Wert verlieren.

Vor Beginn der Beweidung haben Mitarbeiter der Biologischen Station mehrere Versuchsflächen angelegt, die in Abständen von drei Jahren erneut kontrolliert wurden. Auf diesen Untersuchungsflächen wurden die Bestände seltener Pflanzen, Eidechsen, Heuschrecken und Schmetterlinge erfasst und ausgewertet.

2.4 Untersuchungsergebnisse

Erste Veränderungen sind auf den Beweidungsflächen deutlich wahrzunehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass durch Pferdebeweidung andere Vegetationsstrukturen ent-stehen als durch Schafbeweidung. Die Einflüsse von Verbiss, Tritt, besonderen Ver-haltensweisen (z.B. Scharren und Wälzen) und Nährstoffumverteilungen sind bei Pferden und Schafen grundsätzlich verschieden.

Als indirekte Folge wird auch das Mikroklima entscheidend verändert, was wiederum Auswirkungen auf Vorkommen und Verteilungen vieler Pflanzen- und Tierarten hat. Die Artenvielfalt hat bei den Pflanzen stark zugenommen. Auf einigen Unterschungsflächen verdoppelten sich die Artenzahlen fast.

Gehölze auf der Weidefläche wurden unterschiedlich befressen. An Kiefern waren - mit Ausnahme minimaler Fraßspuren bei einzelnen Bäumen in Nähe der Wasserstelle - keine Fraßspuren zu erkennen. Fraßschäden traten aber an Stämmen von Rotbuche, Eiche, Robinie und Eberesche auf. Am stärksten verbissen waren die Robinien, was insofern erstaunlich ist, als die Rinde als giftig für Pferde gilt.

Im Verlauf der Beweidung sind mehrere offene Sandstellen entstanden. Die Pferde wurden beobachtet, wie sie durch Scharren mit den Hufen die lockere Grasnarbe oder die Moosdecke aufrissen. Sobald diese Stellen eine bestimmte Größe hatten, begannen die Tiere, sich hier regelmäßig zu wälzen, wodurch die Bereiche weiter vergrößert wurden. Auf der Weidefläche waren die kleinen Verletzungen der Grasnarbe und die Zerstörung von lockeren Moospolstern durch die Pferde hilfreich, da hierdurch Keimbetten z.B. für die Besenheide geschaffen wurden.

Die selektive Beweidung erzeugt ein Mosaik aus intensiv beweideten Bereichen und Weideresten. Die strukturelle Vielfalt der Flächen wird dadurch erhöht. Dies führt zu einer Heterogenität der Artenverteilung und der Individuendichte, die besonders bei den Heuschrecken deutlich erkennbar ist.

Die Beweidungsintensität führt erstaunlicherweise nicht zu einer signifikanten Reduktion des Blütenangebotes, was für den Fortbestand der blütenbesuchenden Insekten (z.B. Schmetterlinge, Stechimmen, Fliegen, Käfer) wichtig ist. Einige wichtige Nektarpflanzen (z.B. Berg-Sandglöckchen) nehmen auf den Beweidungsflächen sogar deutlich zu, was wahrscheinlich auf die selektive Beweidung durch die Pferde zurückzuführen ist. Obwohl Blütenpflanzen z.T. auch mitgefressen werden, scheinen sie an manchen Stellen von der Reduktion der Weidegräser zu profitieren. Bei den untersuchten Schmetterlingen waren die höchsten Individuendichten in Bereichen mit großem Blütenangebot festzustellen, obwohl zur Eiablage oft gezielt auch andere Bereiche aufgesucht werden (z.B. Großes Ochsenauge, Ampfer-Grünwidderchen).

Für die Strukturanreicherung auf den Beweidungsflächen ist die Schaffung offener Bodenstellen als Kleinlebensräume für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten sehr erwünscht. Dieser Effekt wurde durch die Pferdebeweidung erreicht. Offene Sandstellen wurden schnell von gefährdeten Pflanzenarten und auch von Tierarten besiedelt, die an diese warm-trockenen Kleinlebensräume angepasst sind (Zauneidechse, Gefleckte Keulenschrecke). Die Verwundung der Grasnarbe lockert den Wurzelfilz auf und schafft Keimbedingungen für verschiedene Pflanzenarten, wovon wiederum bestimmte Tierarten profitieren (z.B. das Ampfer-Grünwidderchen an Kleinem Sauerampfer). Die allgemeine Auflichtung der Vegetationsstruktur fördert gefährdete Arten wie den Heidegrashüpfer oder den Verkannten Grashüpfer.

Für bodenbrütende Singvögel wie Heidelerche, Baumpieper oder Goldammer sind die Beweidungsflächen nach wie vor sehr attraktiv. Sie erreichen hier hohe Sied-lungsdichten. Da besonders Heidelerche und Baumpieper zur Nahrungssuche gerne offene Bodenstellen und kurzrasige Bereiche aufsuchen, profitieren sie evtl. sogar von der Beweidung.

Oftmals wird Schafbeweidung als einziges probates Mittel zur dauerhaften Pflege von Magerrasen angeführt. Die ersten Ergebnisse aus dem Beweidungsprojekt mit Senner Pferden deuten an, dass unter bestimmten Voraussetzungen (trockene Bo-denverhältnisse, niedriger Besatz/niedrige Beweidungsintensität) auch eine Bewei-dung mit Pferden geeignet erscheint, solche Flächen dauerhaft zu pflegen. Bestimm-te Pflegeziele sind durch Pferdebeweidung besser zu erreichen als durch Schafbe-weidung. Da zählt vor allem eine Erhöhung der Strukturvielfalt durch die Schaffung schütterer Vegetationsstrukturen und offener Bodenstellen.

3. Information für Besucher und Öffentlichkeit

Eine breite Information über das Projekt dient einerseits der Akzeptanzsteigerung in-nerhalb des Naturschutzes, bei politischen Entscheidungsträgern und der Bevölkerung, andererseits bei der Einwerbung weiterer Finanzmittel. Interessierte Besucher können die Pferde beobachten und erleben, ohne sie zu stören. An geeigneten Stellen sind dafür Besucherlenkungseinrichtungen eingerichtet.

Die Stiftung Europäisches Naturerbe EURONATUR, die das Senner-Projekt ebenfalls unterstützt, hat eine kleine Ausstellung erstellt, die transportabel ist und leicht an verschiedenen Stellen aufgebaut werden kann. Mitarbeiter der Station halten Vorträge und führen Exkursionen zu den Flächen der Wildbahn durch.

Das Projekt „Senner Pferde zur Förderung der Biodiversität in der Senne“ der Biolo-gischen Station wurde am 25. September 2015 als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt gewürdigt.

4. Finanzierung des Projekts

Die Finanzierung des Projektes "Wildbahn Senner Pferde" erfolgt überwiegend über Spenden bzw. Sponsoren (Sparkassenstiftung des Kreises Paderborn, Pesag AG, Gemeinde Hövelhof, Kreis Paderborn, Freiwilligen Feuerwehr Hövelhof, Stiftung EURONATUR). Einzelspenden und regelmäßige Zahlungen müssen die kostendeckende Haltung der Pferde wie auch die Aufstockung der Herde ermöglichen. Die Stiftung Wald, Wild und Flur in Europa hat sich in diesem Rahmen beteiligt.

Informationen zum Projekt

Empfänger:

Biologische Station Kreis Paderborn I Senne
Zu deren Webseite

Bilder:

Karte: